Visualisierendes Interpretieren
von Gedichten

Möglichkeiten und Anregungen

Wie jeder andere literarische Text sind v.a.Gedichte mehr als nur Worte. Sie vermitteln Bilder, Gefühle, Assoziationen, eine eigene Welt, zu der es gilt Zugang zu finden und einen Transfer herzustellen. Daher eignen sich Gedichte besonders gut für das visualisierende Interpretieren.

Im Folgenden soll hier keine in sich geschlossene Unterrichtseinheit vorgestellt werden, sondern es sollen verschiedene Möglichkeiten des visualisierenden Interpretierens aufgezeigt werden, die dann alle zusammen in eine interpretierende multimediale Präsentation eines Gedichtes einmünden können.

Hinweis: 
Für die Arbeit mit Microsoft Word® und Microsoft PowerPoint© finden Sie Einführungen bei 3b-infotainment.de/unterricht in der Rubrik PC-Kurse.
Bildmaterial finden Sie unter 3b-infotainment.de/unterricht/impuls.htm.

Michael Breddin
(Stand 05/03)

 

Visualisierendes Interpretieren - Übersicht
Text und Typographie
Text und Bild
Multimediale Präsentation
4 UE: Expressionistische Stadtlyrik

0 Visualisierendes Interpretieren - Übersicht

 

Wie die kleine Übersicht zeigt, ist der Ausgangspunkt immer die Interpretation des jeweiligen Gedichtes. Am Ende sollte immer die Reflexionsphase stehen, ganz gleich ob man den gesamten Zyklus durchläuft oder sich einmal nur mit Typographie und/oder Text-/Bildkombination beschäftigt, da in dieser Reflexion die interpretatorischen Momente deutlich werden.

1. Schrift:

Ingeborg Bachmann: Reklame

Über die Variation von Schriftart, -größe und -farbe kann versucht werden, zumindest ansatzweise, inhaltliche Aspekte des Gedichtes sichtbar zu machen.

Für eher assoziativ angelegte Vorübungen eignen sich Morgenstern-Gedichte z.B. sehr gut.

Christian Morgenstern

Gruselett

Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Golz.

 

Das Fest des Wüstlings
(zu flüstern)

Was stört so schrill die stille Nacht?
Was sprüht der Lichter Lüsterpracht?
     Das ist das Fest des Wüstlings!


Was huscht und hascht und weint und lacht?
Was cymbelt grell? Was flüstert sacht?
     Das ist das Fest des Wüstlings!


Die Pracht der Nacht ist jach entfacht!
Die Tugend stirbt, das Laster lacht!
     Das ist das Fest des Wüstlings!
 

Beide Gedichte leben nur davon, was wir aus ihnen gedanklich oder im Vortrag machen. Typographisch gesehen sind sie tot. Da gruselt nichts, da wüstlingst keiner. Und gerade dadurch laden beide Gedichte dazu ein, mit ihnen zu spielen - nicht nur im Vortrag, sondern auch in der visuellen Interpretation, denn beide Gedichte sind ja voller Bilder.

Wie aber mache ich diesen gesamten assoziativen Bildbereich deutlich?

Sieht der Flügelflagel so aus:

Flügelflagel

oder so:

Flügelflagel

oder vielleicht auch ganz anders. Und warum?

Welche Schriftart trifft die rote Fingur am besten? Eine geschwungene, eine fette, eine kompakte,eine leichte Schrift. Wie wirkt sich das Verb plaustern auf die typographische Umsetzung aus. Reicht es aus, für alle Buchstaben dasselbe Rot zu verwenden?

In dieser Art könnte man auf der Unter- und Mittelstufe versuchen einen Zugang zu ausgewählten Gedichten über die typographische Gestaltung zu erreichen, wobei die inhaltliche Übereinstimmung immer im Vordergrund stehen muss.

Eine kleine PowerPoint-Einführung (310 KB) in die Typographie können Sie hier abrufen.

Und warum nicht in diesem Zusammenhang einen Exkurs in mittelalterliche Handschriften einschieben und eine handschriftliche Umsetzung evtl. mit Miniaturen anfertigen lassen.

2. Text und Bild

Interessant ist auch die Möglichkeit eigene Bilder zu einem Gedicht anzufertigen und mit dem Gedicht zu kombinieren oder aus einer Auswahl von Bildern ein geeignetes heraussuchen, evtl  überarbeiten und dann mit dem Text kombinieren zu lassen. Wichtig ist hierbei die Reflexionsphase, denn über sie werden die intepretatorischen Momente deutlich und bewusst.

Celan: Die Halde

Text

halde1.jpg (41204 Byte)

Hier wurde die Zeichnung einer 18jährigen Schülerin, die sie nach einer gemeinsamen Interpretation des Gedichtes im Grundkurs Deutsch anfertigte, mit dem  Text kombiniert.

Hesse: Wanderer im Schnee

Wanderer im Schnee

     Mitternacht schlägt eine Uhr im Tal,
     Mond am Himmel wandert kalt und kahl.

     Unterwegs im Schnee und Mondenschein
     Geh mit meinem Schatten ich allein.


    

mond4.JPG (16120 Byte)

 

Einig war man sich nach dem Montieren des Textes in das Bild sehr schnell, dass zuminest die letzten beiden Verse:

Schnee, wie kühl umfängst du Stirn und Brust!
Holder ist der Tod, als ich gewußt.

inhaltlich nicht in diese Montage passen.

Als Möglichkeit ergab sich einerseits die Wahl eines anderen Bildhintergrundes:

grab.jpg (7788 Byte)

was wiederum zur Folge hat, dass man dann auch für andere Strophen den Bildhintergrund ändern müsste, z.B.:

hof.jpg (4593 Byte)

oder eine digitale Bearbeitung:

mond4neu.jpg (1794 Byte)

Wobei sich hier die spannende Frage ergibt, wie sieht kühler Schnee aus, den man (s. lyrisches Ich) als angenehm empfindet.

In beiden Fällen kommt man fast automatisch zu einer multimedialen Visualisierung des Gedichtes mit Hilfe eines Präsentationsprogramms.

3. Multimedia-Präsentation eines Gedichtes

Für eine erste Demonstration sei hier wieder das Celan-Gedicht genommen. Bild und Gedicht wurden in einzelne Teile aufgeteilt und dann zu einer PowerPoint Präsentation zusammengefügt, wobei bewusst auf jegliche Art von Animation verzichtet wurde. Eine animierte Fassung können Sie hier aufrufen.
In der Präsentation wurde versucht das Bild in Einzelteile aufzulösen, denen dann jeweils ein entsprechender Textabschnitt zugeordnet wurde. Wichtig erscheint mir, dass das Gedicht, soweit es die Länge erlaubt, am Ende noch einmal als Ganzes erscheint.

Wie bei der Text-/Bildmontage kann hier auf Schülerzeichnungen, eigene Aufnahmen oder eine vorgegebene Bildauswahl zurückgegriffen werden. Wichtig ist auch hier, dass die Schülerinnen und Schüler gleichzeitig lernen, mit einem einfachen Bildbearbeitungsprogramm kreativ umzugehen und sich auf das Wesentliche zu beschränken. Auch sollte man m.E. die Schüler dazu anregen, auf vorgefertigte ClipArts zu verzichten, da sie rein vom ästhetischen Standpunkt sich nicht in eine visualisierende Interpretation einfügen und ständig als Störfaktor empfunden werden.

4. Unterrichtseinheit expressionistische Stadtlyrik, Grundkurs Kl. 12

I Zunächst wurde der Bereich "Bilder" in der Lyrik an Hand von Enzensberger, Isotop und Celan, Die Halde noch einmal aufgearbeitet.
Im nächsten Schritt wurde der Aspekt der Stadt in der Lyrik an Storms "Die Stadt" und Trakls "Schöne Stadt" erarbeitet. Hölderlins "Heidelberg" wurde nur als zusätzlicher Text ausgehändigt.
(6 Stunden)

II Auf das Trakl Gedicht folgte eine kurze multimediale Einführung in den Expressionismus.
Nach einer ersten Erarbeitungsphase expressionistischer Gedichte wurde der Vorschlag unterbreitet, ein expressionistisches Stadtgedicht entweder in voller Länge oder einem Ausschnitt multimedial zu bearbeiten.
(4 Stunden)

III Hierfür wurde zunächst in einer Unterrichtsstunde mit PowerPoint in die Typographie und dann in das Programm selber eingeführt. Die Einführung in die Typographie an dieser Stelle hatte den Zweck, dem Kurs noch einmal die Möglichkeiten des Programmes zu zeigen und die SchülerInnen auf Gefahren und Möglichkeiten der Text-/Bildkombination hinzuweisen.
In einer zweiten Stunde wurde die Bildbearbeitung mit Irfan View erklärt. Hier ging es v.a. um Bildausschnitte, Helligkeit und Kontrast sowie um Farbbalancierung und Gamma Korrektur. In dieser Phase experimentierten die Schüler nach einem kurzen Einblick in das Know-how selbstständig mit vorgegebenem Bildmaterial. Alle weiteren Aspekte der Bildbearbeitung wurden bewusst ausgeklammert.
(2 Stunden)

IV Der Kurs erhielt anschließend eine Auswahl an Gedichten für die selbstständige Umsetzung in eine Multimedia-Präsentation. In dieser Phase wurden die einzelnen Gruppen (max. 3 SchülerInnen) bei besonderen Fragen zu weiteren Möglichkeiten von PowerPoint oder speziellen Bedürfnissen in Bezug auf Bildbearbeitung individuell betreut.
(4 Stunden)

V Präsentation und Besprechung der Ergebnisse
(1 Stunde)

VI Überarbeitung der eigenen Präsentation auf Grund der gemeinsamen Besprechung
(2 Stunden)

VII Schlusspräsentation (teilweise im Ausschnittsvergleich zur ersten Fassung) mit Besprechung

PowerPoint Präsentationen zu den Gedichten:

Trakl: An die Verstummten
Wolfenstein: Städter
    Version 1
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    Version 3